„Ihr wollt nach Kosovo?! Muss das sein?“, fragte uns Daniels Mutter, gebürtige Jugoslawin, als wir ihr zum ersten Mal von unseren Sommer-Reiseplänen 2017 berichteten, und riet uns, damit doch noch einige Jahre zu warten, weil die Lage im Land immer noch instabil sei. Aber weder sie noch der zuletzt wieder einmal von Serbien, durch einen von Belgrad an die Grenze geschickten Zug, angestachelte Konflikt zwischen den beiden „Staaten“, konnte uns von unserem Plan abbringen.

Als Kind der 90er kenne ich Kosovo nur aus dem Fernsehen. Nahezu jeden Abend flimmerten Bilder von Krieg, Not und Vertreibung aus diesem Teil Jugoslawiens in unser Wohnzimmer. Hunderttausende waren auf der Flucht und viele davon kamen nach Deutschland, in die Schweiz oder nach Österreich. Seit 1999 ist der Kosovo-Krieg beendet, 2008 erklärte das Land seine Unabhängigkeit, die wird aber bis heute nur von 111 der 193 UN-Mitgliedsstaaten anerkannt, darunter die Mehrzahl der EU-Staaten und die USA. Nicht anerkannt wird die Loslösung von Serbien, Russland und den meisten südamerikanischen und asiatischen Staaten. Heute, fast 20 Jahre nach Beendigung des Konflikts, wollte ich mir daher einfach mein eigenes Bild von diesem kleinen europäischen Land und seinen Menschen machen.

Von Niš in Süd-Serbien sind es nur etwa 150 Kilometer nach Prishtina. Google Maps möchte uns allerdings partout über Mazedonien schicken. Wir ignorieren Google und machen uns auf direktem Weg über leere Straßen, durch kleine Dörfer und trockene Landschaft zur Grenze. Plötzlich ist es voll! Wo kommen all´ diese Autos her? Eine lange Schlange von etwa 80 Fahrzeugen hat sich vor dem Grenzübergang gebildet, scheinbar nichts geht und wir reihen uns ein, natürlich zur besten Mittagshitze-Zeit. Familien springen aus den meist hochklassigen Luxus-Autos mit Schweizer Kennzeichen und beginnen zu picknicken. Es wird deutsch gesprochen und ich erinnere mich an die Worte von Daniels Cousine, die für die UN im Kosovo gearbeitet hat, dass wir mit unserem alten Golf wohl eher unter dem Fahrzeug-Klassendurchschnitt liegen werden 😀

Endlich, nach eineinhalb Stunden, sind auch wir an der Reihe. Der Grenzer auf kosovarischer Seite scheint verdutzt als ich ihm erkläre, dass wir kein Albanisch sondern nur Englisch sprechen. Viele Touristen benutzen den Grenzübergang wohl nicht. Für 15€ kaufen wir die vorgeschriebene KfZ-Versicherung und dürfen passieren.

Auf der anderen Seite der Grenze präsentiert sich uns ein verrücktes Bild. Wir sehen ähnlich viele Porsche wie in Düsseldorf, nur dass die Besitzer der 911er nicht über die Kö sondern über staubige, unfertige Dirt-Roads rollen, wir haben unseren Spaß, bis uns kurze Zeit später ein Verkehrspolizist raus winkt. Ich lasse die Fensterscheibe herunter und blicke in ein ernstes Polizistengesicht: „Did you read the law?“ fragt er mich. Ich überlege kurz, ob ich in Anbetracht dessen, dass sich dieser Staat erst im Aufbau befindet, danach fragen sollte, welches Gesetz welches Staates er denn meint, besinne mich dann aber und gucke ihn treuherzig, ohne zu antworten an. Er fordert alle meine Papiere, kontrolliert sie und weist mich dann darauf hin, dass ich vergessen habe, das Abblendlicht einzuschalten. Danach lässt er mich weiter fahren.

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Sonst präsentiert sich Kosovo idyllisch. Grüne Wiesen, ein paar Hügel, Dörfer mit unfertigen Häusern – wie überall auf dem Balkan – und einige Moscheen. Nichts weist darauf hin, dass hier vor wenigen Jahren noch Krieg geführt wurde.

Bei unserer Ankunft in Prishtina im Hotel Prima werden wir bereits erwartet und bekommen einen Parkplatz direkt vor dem Hotel, alles sehr problemlos. Mit Stadtplan bewaffnet machen wir uns sofort zu Fuß auf, die nur 210.000 Einwohner zählende Stadt zu entdecken:

Skanderberg-Platz und Mutter-Theresa-Boulevard (Fußgängerzone)

Der Skanderberg-Platz im Stadtzentrum ist der Hauptplatz von Prishtina. Hier befindet sich das Parlament der Republik Kosovo, einige Ministerien und das Theater. Außerdem schließt sich die Fußgängerzone, der Mutter-Theresa-Boulevard mit zahlreichen Läden, Cafés und Restaurants an, idealer Ausgangspunkt für die Erkundung der Stadt. Hier und vor allem am anderen Ende des Boulevards am Sheshi-Zahir-Platz tobt das Leben. Familien, spielende Kinder, Straßenmusiker, junge verliebte Paare, alles trifft sich dort. Wer wie ich gerne Menschen beobachtet und fotografiert, ist hier genau richtig.

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Tipp: Das Half & Half Café. Jede erdenkliche Art von Kaffee in stylischem Ambiente zu unfassbar günstigen Preisen!

Newborn-Monument

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Nur wenige Minuten fußläufig liegt dieses Monument, welches anlässlich der Unabhängigkeitserklärung vom 17. Februar 2008 enthüllt wurde. Es ist ein Treffpunkt vor allem von Jugendlichen. Jedes Jahr kurz vor dem Tage der Unabhängigkeit wird es umgestaltet, und erscheint pünktlich zum Jubiläum in frischen neuen Farben und Mustern.

Tipp: Hinter dem Monument führen einige Stufen hinauf auf einen Platz vor dem verfallenen Sportstadion „Pallati i Rinisë dhe Sporteve“, ein Blick, der sich für Fans von „lost places“ definitiv lohnt!

National- und Universitätsbibliothek des Kosovo

Weiter geht es zu einem architektonisch einzigartigen Gebäude, welches seit 1982 die größte Bibliothek des Landes, die National- und Universitätsbibliothek Kosovos, beheimatet. Der Gebäudekomplex hat 99 Kuppeln und ist mit Stahlelementen verkleidet. Ein Paradies für Architektur-Fotografen.

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Übrigens: Der Daily Telegraph kürte es zum dritthässlichsten Gebäude der Welt. Das finde ich ungerechtfertigt 😀 Was meint ihr?

Der Rohbau der Christ-Erlöser-Kirche

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In Sichtweite der Bibliothek liegt die Kathedralkirche Christi des Erlösers. Der 1991 von der Serbisch-Orthodoxen Kirche in Auftrag gegebene Bau kam 1995 wegen des Krieges zum Erliegen und wurde nach 1999 nie fertig gestellt, da sich die inzwischen vornehmlich moslemische Bevölkerung dagegen stellte. Der albanische Intellektuelle Haxhi Mehmetaj verlangte 2012 sogar den Abriss dieser Kirche der „schlechten Religion“. Diese Kirche ist eins der wenigen offensichtlichen Zeugnisse in der Stadt, die die unüberbrückbaren Differenzen zwischen Serben und Kosovo-Albanern zeigen.

Der weiße Turm der Mutter-Theresa-Kathedrale

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Die sich derzeit noch im Bau befindliche römisch-katholische Kathedrale soll das neue Gotteshaus der Katholiken in Prishtina werden. Ich mache mir normaler Weise nichts aus Kirchen. Inzwischen dämmert es jedoch, und irgendwo hatte ich gelesen, dass man trotz Baustelle schon auf den bereits fertig gestellten weißen Glockenturm hinauf fahren kann. Und so ist es, für 1€ fährt uns ein moderner Fahrstuhl in luftige Höhe und wir haben einen fantastischen Rundblick auf die gesamte Stadt und genießen einen spektakulären Sonnenuntergang. Große Empfehlung!

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Besuch auf dem Old Green Market (Tregu i vjeter)

Selbstverständlich darf in einer orientalischen Stadt auch der Marktbesuch nicht fehlen. Aber mehr zufällig lassen wir uns am nächsten Morgen in die bunten, mit Geschäften und Verkaufsständen gesäumten Gassen der Einheimischen ziehen. Für Daniel als Fotografen immer ein Genuss, für mich im ersten Moment oft eine kleine Überwindung mich den durchdringenden, unfreundlich wirkenden Blicken der überwiegend älteren, männlichen Laden- und Standbesitzer auszusetzen. Hier gelingt es mir jedoch mit einem freundlichen Kopfnicken und Gruß vielen von ihnen ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Wir werden zum Teil begeistert angesprochen und im Kosovo willkommen geheißen. Also: Traut und überwindet euch und geht hinein!

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Varrezat e Dëshmorëve-Denkmal

Danach machen wir uns auf den Weg raus aus dem Zentrum etwas bergauf zum Parku Varrezat e Dëshmorëve. Eigentlich nur, weil wir solche Beton-Denkmäler als Fotomotiv lieben. Man hat von hier aber auch einen weiten Blick über die Stadt. Das Denkmal wurde übrigens für die gefallenen Soldaten der kosovarischen Befreiungsarmee errichtet, deren Gräber direkt unterhalb des Denkmals liegen.

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Bill Clinton-Statue

Oder wie wäre es mit einem Selfie mit Bill Clinton? Als Dank für seine Hilfe im Kampf gegen die Jugoslawische Regierung benannten die Albaner einen Boulevard nach dem ehemaligen US-Präsidenten und errichteten ihm eine Statue. Während der Enthüllungs-Zeremonie 2009 war er zugegen und hielt sogar eine Rede.

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Den Abend lassen wir im „Liburnia“ ausklingen, einem landestypischen albanischen Restaurant mit gemütlichem Ambiente und lecker zubereiteten, großzügig bemessenen Speisen. Nur hin und wieder dringt von draußen das Aufheulen eines der großen Luxus-Auto-Motoren hinein, deren Besitzer ihr „Glück“ durch Arbeitsemigration im Ausland gefunden haben und nun ihren Sommerurlaub in der Heimat verbringen. Bei 70% Jugendarbeitslosigkeit im Land wundert es nicht, dass immer mehr Menschen abwandern.

Einer der freundlichen Kellner fragt uns, wie es uns im Kosovo gefällt. Wir kommen ein bisschen ins Gespräch und er berichtet uns von den Schwierigkeiten seines Landes und dass es, obwohl die Staatengemeinschaft seit Kriegsende vier Milliarden Euro investiert habe, kaum Industrie gebe und dass selbst landwirtschaftliche Produkte importiert würden. Als Gründe dafür gibt er Misswirtschaft und Korruption an. Und eine Art Steuerverwaltung befinde sich z.B. erst im Aufbau. Das Bildungsniveau und die Infrastruktur seien schlecht und die politische Gesamtlage unsicher.

Wir bleiben nach diesem Gespräch nachdenklich zurück. Ob dieses Land wirklich eine eigenständige Zukunft haben kann?

Wissenswertes:

Anreise? Wer nicht mit dem Auto fahren möchte, findet günstige Flüge von allen Deutschen Flughäfen zum Prishtina International Airport (PRN).

Einreise/Visum? Mit dem Auto ist die direkte Einreise aus allen vier angrenzenden Ländern (Montenegro, Serbien, Mazedonien, Albanien) möglich. Es muss beim Grenzübertritt eine KfZ-Versicherung für das Fahrzeug abgeschlossen werden (15€). Man benötigt einen noch mind. 3 Monate gültigen Reisepass oder biometrischen Personalausweis. Bis zu 90 Tagen kann man sich ohne Visum im Land aufhalten. Achtung: Wenn man nach dem Kosovo-Aufenthalt nach Serbien weiter reisen möchte, darf man dort nur direkt einreisen, wenn man vorher schon in Serbien war. Sonst muss man den Umweg über Mazedonien fahren.

Währung? Die offizielle Währung ist der Euro.

Unterkünfte? Da die Anzahl der Unterkünfte begrenzt ist, sollte man vorab, z.B. via booking.com buchen. Es gibt keine Campingplätze im Land!

Sicherheit? Die Sicherheitslage im Kosovo gilt als ruhig und stabil. Wir haben uns auch bei Dunkelheit nirgendwo unsicher gefühlt. Allerdings sollte man sich vor Reiseantritt oder während des Aufenthaltes immer wieder in den Medien erkundigen, ob es Unruhen oder kurzfristige Protestaktionen gegen die Regierung gibt.

Achtung: Wie bereits im Bericht erwähnt gibt es viele und gründliche Polizei- und Straßenverkehrskontrollen im ganzen Land. Wir sind mehrfach hinein geraten. Man sollte also alle Papiere (Pass, Fahrzeugschein, Führerschein, KfZ-Versicherungsschein) immer vollständig mitführen und lieber nicht zu schnell fahren.

Lesetipp: Lui und Steffi vom Reiseblog comewithus2 waren mit ihrem Camper ebenfalls schon im Kosovo unterwegs und berichten darüber ausführlich auf ihrem Blog. Und auch Matthias vom Reiseblog Travel-Telling ist begeistert vom Kosovo, und erzählt hier von seiner 3-wöchigen Reise durch das kleine Land. Ellen vom Reiseblog Patotra ist auch gerade mit einem einheimischen Guide an ihrer Seite durch den Kosovo gereist, und berichtet darüber in einem spannenden Artikel.

Planst du eine Reise in das Kosovo und hast eventuell noch Fragen?
Hinterlasse mir gerne einen Kommentar! Deine Julia

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