Insgeheim haben Daniel und ich wohl beide gehofft, dass unsere Woche in Albanien einer der Reisehöhepunkte auf unserem Osteuropa-Roadtrip im Sommer 2017 würde. Aber so vielversprechend unser Trip im Norden in den Bergen (Nationalpark Valbonatal – Das albanische Natur- und Wanderparadies) begonnen hat, so ernüchtert wurden wir dann in der Hauptstadt Tirana. Weshalb ich mich dort so deprimiert, aufgewühlt und unwohl gefühlt habe wie an bisher keinem anderen Ort der Welt, schreibe ich mir hier einmal von der Seele. Wie immer, gespickt mit zahlreichen Insidertipps für alle, die nach dem Lesen dieses Artikels immer noch Lust haben, Tirana zu besuchen 😉

#1 Verkehr

Bereits die Fahrt mit dem Auto in die Stadt hat es in sich. Meine Gegner: schrottreife, auseinander fallende BMW und Mercedes Benz aus den frühen 90er Jahren, schwarzen Rauch ausstoßende LKW und überladene Busse und Minibusse mit Gepäck auf dem Dach, sowie jede Menge Zweiräder, die alle gleichzeitig in die zahlreichen Kreisverkehre auf dem Weg ins Zentrum Tiranas eindringen wollen. Weil Autos erst nach dem Fall des kommunistischen Regimes von Enver Hoxha für die Normalbevölkerung zugelassen wurden, ist der Nachholbedarf groß und das Fahrverhalten entsprechend. Zum ersten Mal, nach fünf auf dem Balkan mit dem Auto durchquerten Ländern, steht mir der Schweiß auf der Stirn, und zwar nicht wegen der flirrenden Hitze von 40°C, die draußen herrscht. Ich fahre zu defensiv, werde angehupt und geschnitten und möchte eigentlich schon jetzt wieder umkehren. Noch dazu liegt unser Hotel in der wohl engsten Straße der ganzen Stadt. Ich mache drei Kreuzzeichen, als unser Golf endlich in der Tiefgarage geparkt ist.

#2 Skanderberg-Platz

Nachdem ich mich etwas von der Fahrt erholt habe, machen wir uns vom Hotel zu Fuß Richtung Skanderberg-Platz auf, dem Wahrzeichen im Zentrum Tiranas. Der 38.000 m² große Platz, benannt nach dem Nationalhelden Skanderberg, ist wirtschaftliches, kulturelles, infrastrukturelles und politisches Zentrum des Landes Albanien. Um den Platz liegen die Ministerien, das Parlament, die Oper, das Nationalmuseum sowie die riesige Nationalbibliothek, internationale Hotels, die Et´hem-Bey-Moschee und der berühmte Uhrturm. Von der Regierung beauftragt, wurden viele der ehemals grauen Gebäude, farbig gestrichen. Und natürlich darf eine Statue von Skanderberg nicht fehlen. Was hingegen fehlt sind Schatten spendende Bäume! Wir drücken uns daher entlang der Gebäude und blicken auf den unfassbar großen, leeren, mit Steinplatten gepflasterten Platz, der jegliches Leben von sich abzustoßen scheint, da die Sonne gnadenlos vom Himmel brennt und anscheined jeder Einwohner einen Gang über den Platz zu vermeiden sucht.

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Skanderberg-Platz in Tirana.

Tatsächlich wurde der Platz in seinem heutigen Erscheinungsbild erst 2017 fertig gestellt. Und zum ersten Mal während unseres Aufenthalts in Tirana stutze ich, wie man einen Ort im Zentrum einer Stadt, der eigentlich ein Treffpunkt für Menschen sein soll, so feindlich gestalten kann. Im Sommer Hitzehölle, im Winter vermutlich zugig und kalt – bemerkenswert!

Von solchen Plätzen entdecken wir übrigens noch mehrere in der Stadt, wie z.B. hier den vor der Universität der Künste.

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Platz und Kreisverkehr vor der Universität der Künste in Tirana.

#3 Bunker/Bunk´Art Museum

Da die Hitze draußen wirklich kaum zu ertragen ist, beschließen wir, uns nach drinnen zurück zu ziehen und die Ausstellung bzw. eines der beiden Bunk´Art Museen in Tirana zu besuchen.

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Eingang zum Bunk´Art Museum 2 in Tiranas Innenstadt.

Unter dem abgeschotteten, kommunistischen Regime des Diktators Enver Hoxha, der paranoische Angst vor ausländischen Angriffen hatte, wurden in Albanien zwischen 1972 und 1984 nämlich um die 200.000 Bunker gebaut. Ziel Hoxhas war es, für je vier Albaner einen Bunker als Schutz zu haben, also ca. 750.000 der runden, an Pilzköpfe erinnernde Bauten. Ganz so viele wurden es zwar nicht, aber trotzdem sieht man diese Altlasten, die die Landschaft Albaniens bis heute prägen, überall, und eben auch in Tirana.

Zwei dieser Bunker sind nun für die Öffentlichkeit zugänglich, um nicht nur Touristen, sondern auch der eigenen Bevölkerung einen neuen, anderen Blickwinkel auf die dunkle Geschichte und Vergangenheit des Landes zu ermöglichen.

Einige der unterirdischen Bunker-Räume des Museums werden verwendet, um die Geschichte der Zeit des Diktators Hoxha durch Fotos, Gegenstände und Dokumente zu erzählen. In anderen Räumen gibt es Ausstellungen zum Thema Polizei/Polizei-Staat Albanien, Verhör- und Foltermethoden etc. Andere Räume sind einfach leer gehalten, um das bedrückende Gefühl dieser Zeit nachvollziehen zu können.

Als wir wieder an der frischen Luft sind, ist mir schwindelig. Auf solch´ schwere Kost war ich nicht vorbereitet. Wir pausieren kurz auf einer Bank und ich beobachte einige der vorbei spazierenden Gesichter. Bis 1990 war dieses Land völlig von jeglicher Außenwelt abgeschirmt. Nicht wie die DDR, sondern komplett abgeriegelt. Ich frage mich, wie man mit dieser Geschichte lebt, vor allem wenn man sie selber noch erlebt hat? Und welchen Blick auf die Welt haben die Menschen, die nach der Öffnung des Landes nicht ausgewandert sind, wohl heute?

#4 Polizei-Präsenz

Wir schlendern noch ein wenig weiter durch die Straßen Tiranas, und vermutlich wirkt die Ausstellung im Museum einfach bei mir nach. „Aber fallen dir nicht auch diese vielen unscheinbar an Straßenkreuzungen geparkten Wagen, besetzt mit zwei Polizisten, auf?“, frage ich Daniel. Und in der Tat, er stimmt mir zu. Wieder etwas, was einfach unwillkürlich Unwohlsein und Beklemmungen in mir auslöst. Ich möchte nicht auf Schritt und Tritt beobachtet werden!

#5 Pyramide von Tirana

Am „Prachtboulevard“ Dëshmorët e Kombit liegt dieses 1988 als Museum dem Diktator Enver Hoxha gewidmete, inzwischen völlig heruntergekommene Gebäude. Früher mit hellen Marmorplatten verkleidet, gammelt der Bau seit 1991 grau vor sich hin.

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Die Pyramide von Tirana.

Eigentlich lieben wir solche Orte und Daniel schwingt sofort begeistert die Kamera, das Licht am Nachmittag ist wunderschön. Bei mir will die Begeisterung irgendwie nicht so richtig aufkommen. Schon wieder so ein bröckelnder, sozialistischer Betonklotz…

Im Nachhinein habe ich gelesen, dass diese Immobilie, die übrigens inzwischen ein Jugendzentrum beherbergt, als eine der wertvollsten Tiranas gilt! Was ist das für ein Land, in dem ein solcher Bau das Wertvollste ist, was eine Stadt zu bieten hat, frage ich mich verwundert, und irgendwie überfällt mich Mitleid.

#6 Bettelnde Roma-Kinder

Wir laufen weiter entlang des nach Abwasser stinkenden Flusses Lana, der mitten durch Tirana fließt. Immer wieder gibt es auf dem schmalen Grünstreifen am Fluss verteilt kleine Camps, aus denen bettelnde, die Hand aufhaltende Kinder, auf uns zu gelaufen kommen. Nach ihrem Aussehen zu urteilen, scheinen es Kinder aus Roma-Familien zu sein. Roma werden in Albanien verfolgt, diskriminiert und leben verarmt am Rande der Gesellschaft, wie hier in Zelten an einem stinkenden Fluss. Wir verteilen ein paar Kekse und den Rest aus einer Fanta-Flasche. Ich bin schockiert über den Zustand der Kinder, aber was habe ich erwartet im „Armenhaus Europas“, als das Albanien oft bezeichnet wird?

#7 Ausgeh-Viertel „Blloku“

Nachdenklich überqueren wir die nächste große Straße, und plötzlich ein völlig neues Bild: Luxus-Autos, Parkplatzwächter, Clubs, Restaurants, blondierte Frauen und Anzug-Männer. Vom Elend ins glamouröse Blloku-Party-Viertel…wow, dieser Gegensatz lässt mich erst einmal nach Luft ringen! Tirana, du machst mich fertig!

Um die vielen Eindrücke zu ordnen und weil wir inzwischen hungrig sind, kehren wir bei Era Blloku ein und probieren uns durch die albanische Hausmannskost – empfehlenswert, auch die Pizzen!

Danach tauchen wir jedoch nicht ins pulsierende Nachtleben ein, sondern machen uns auf den Weg zurück zum Hotel. Dabei passieren wir noch den unfassbar kitschig beleuchteten Taiwan-Brunnen im Rinia Park, der für mich so absolut ins Bild der bisher erlebten Extreme in dieser Stadt, passt.

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Taiwan-Brunnen im Rinia Park in Tirana.

#8 Markt-Viertel „Pazari i Ri“ (Neuer Bazar)

Tatsächlich, es gibt einen Ort in Tirana, der mir einfach gefallen hat: Der überdachte Markt Pazari i Ri, was übersetzt so viel wie „neuer Bazar“ bedeutet. Eine schöne, entspannte Anlage mit angrenzenden Cafés, Bäckereien und Eisdielen, bunten Häusern und Streetart. Außerdem, wie auf einem Bazar üblich, bekommt man jede Form von frischem, lokalem Gemüse und Obst, sowie landestypische Souvenirs.

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Überdachter Markt Pazari i Ri (neuer Bazar) in Tirana.

Es ist unser erster Anlaufpunkt am zweiten Tag in Tirana und am liebsten wäre ich den ganzen Tag in einem der kleinen Cafés sitzen geblieben. Aber Daniels Entdeckergeist ist noch wach, und so ziehen wir weiter.

#9 Männer

An der Rruga Luigj Gurakuqi reihen sich Cafés und Bars auf wie an einer Perlenkette. Schon am Vormittag sind die Plätze draußen gut besetzt, wie überall in Albanien, überwiegend von Männern jungen bis mittleren Alters. Männer, die ihren Vormittag gelangweilt bei Zigaretten – ohja, auf dem Balkan ist rauchen immer noch ziemlich im Trend – und wahlweise Espresso oder Schnaps in einer Bar verbringen und nichts besseres zu tun haben, als den vorbeilaufenden Frauen auf den Arsch zu starren. Männer ohne Möglichkeiten, ohne berufliche Zukunft und Perspektive, ohne Selbstbewusstsein, gefangen in den alten, rückständigen, patriarchischen Traditionen.

Ich möchte den albanischen Männern kein Unrecht tun, denn die wirtschaftliche Situation im Land ist sicher keine leichte, und mit Sicherheit gibt es trotzdem viele, die anders leben, aber dieses von mir gezeichnete „Café Bild“ ist eines der Bilder, die sich mir als erstes aufdrängen, wenn ich an Albanien und besonders an Tirana denke. Es ist etwas, das mir so missfallen hat, dass ich mich in solchen Situationen sehr unwohl gefühlt habe.

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Straßenszene in Tirana.

#10 Parku i Madh Kodrat i Liqenit (Great Park of Tirana)

Weil es auch am zweiten Tag in Tirana extrem heiß ist, beschließen wir, auf der Suche nach Abkühlung einen der großen Parks der Hauptstadt zu besuchen. Hier soll es sogar einen See geben – der Strandfan in mir hofft insgeheim auf eine Bademöglichkeit 😀

Doch Pustekuchen: Die Wiesen und Pflanzen im Park sind braun und vertrocknet, und der See fault unter starker Algenbildung vor sich hin – es bietet sich uns ein trauriges Bild an seinem Ufer.

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See im großen Stadtpark von Tirana.

Ein Mann steht knietief im Schlamm und dreht Stacheldraht auf, der im Wasser zu liegen scheint. Oh Mann…das hatte ich mir anders vorgestellt! Langsam stirbt in mir die Hoffnung mich mit dieser Stadt doch noch anzufreunden…

#11 Toptani Shopping Center

Was macht Frau, wenn sie frustriert ist: Genau, Shoppen! Zum Glück gibt es in Tirana dieses schicke, architektonisch besondere, klimatisierte, moderne Shopping Center mit vielen bekannten westlichen Marken – allerdings auch Preisen! Nach einigen erfolgreichen Käufen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus!

#12 Seilbahnfahrt auf den Hausberg Dajti

Ich lasse mich sogar von Daniel dazu überreden den Weg vom Stadtzentrum zum Hausberg Dajti (etwa 5 Kilometer) zu Fuß zurück zu legen.

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Blick in einen Hinterhof in Tirana.

Anfangs eine ganz interessante Strecke mit vielen Einblicken in das einheimische Leben und Wohnen, endet nach etwa 3 Kilometern der Bürgersteig in eine Baustelle und wir stolpern die restlichen zwei Kilometer über Sand und Kabel, weichen Baulöchern und Fahrzeugen aus, und sind völlig eingestaubt, als wir den Vorort erreichen, von dem aus der Dajti Ekspres uns auf den Hausberg bringen soll.

6 Euro kostet das Hin- und Rückfahrt-Ticket für die moderne Seilbahn, die uns in etwa 15 Minuten in den Dajti Nationalpark, das Naherholungsgebiet der Bewohner Tiranas, bringen wird.

Schon der Hotelbesitzer in Prishtina schwärmte uns vor von der Natur und der guten Luft auf dem Berg, entsprechend hoch waren unsere Erwartungen – leider wurden sie (mal wieder) nicht erfüllt!

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Dajti Ekspres und Blick auf das Dajti Tower Hotel.

Oben angekommen, fällt der erste Blick auf den hässlichen, runden Bau des Dajti Tower Hotels. Dahinter liegt ein riesiger, rot staubiger Platz, auf dem wie auf einem Rummel, Dosenschießen und Ponyreiten angeboten werden, untermalt mit lauter Musik, eine surreale Szenerie, idyllisch ist anders! Die Luft riecht nach schwitzendem Pony, die der prallen Sonne ausgesetzten Tiere tun mir leid! Wir laufen etwas weiter zu einer großen Ruine, die hinter dem Platz im Wald liegt, auf der Hoffnung nach einem interessanten Lost Place. Doch schon als wir den ersten Treppenansatz betreten kommen uns bellende Hunde entgegen und wir sehen, dass das heruntergekommene Gebäude anscheinend von den Familien der Rummel-Leute bewohnt wird. Auch hier liegt auf Grund ihres Aussehens die Vermutung nahe, dass es sich um Roma-Familien handelt.

Weil sich der Himmel bereits rot färbt und die Sonne demnächst unter geht, laufen wir zurück zur Bergstation des Dajti Expres, um ein wenig das Panorama von dort zu genießen. Smog und Rauch von Waldbränden in der Umgebung verhindern zwar eine klare Sicht, dennoch bekommen wir wunderschönes Abendlicht zu sehen. Immerhin so etwas wie ein versöhnlicher Abschluss zweier langer, anstrengender Tage in Tirana.

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Sonnenuntergang am Dajti, dem Hausberg Tiranas.

Fazit:

Von außen betrachtet ist uns in Tirana tatsächlich gar nichts wesentlich Schlimmes oder Negatives passiert. Es gibt keinen Grund, diese Stadt zu verteufeln, dennoch war ich selten so froh, weiter zu reisen und einen Ort hinter mir zu lassen! Vielleicht lag es u.a. auch an dieser unheimlichen Hitze im Sommer, die es natürlich zusätzlich anstrengend gemacht hat, aber vielleicht ist Albaniens Hauptstadt auch einfach ein extremer, leicht deprimierender Ort. Ein Ort zwischen dunkler Vergangenheit, allgegenwärtiger Armut, Tradition, und luxusverheißender Moderne – eben schwierig einzuordnen, wenn man etwas genauer hinschaut.

Wissenswertes:

beste Reisezeit? Nach unseren Erfahrungen würde ich die Sommermonate Juli/August definitiv meiden, weil es einfach zu heiß ist. Ich schätze der Frühling und Herbst sind die beste Reisezeit für einen Städtetrip nach Tirana.

Anreise? Flüge nach Tirana gibt’s ab ca. 50€ von beinahe jedem deutschen Flughafen. Das Flughafenkürzel ist TIA.

Einreise? Bei Aufenthalten bis zu 90 Tagen kann man ohne Visum mit dem deutschen Personalausweis oder Reisepass einreisen.

Unterkunft? Wir haben im Hotel Austria gewohnt. Ideale Lage, große, luxuriöse Zimmer, Service naja.

Sicherheit? Hier gibt es absolut keine Bedenken. Selbst am Abend und bei Dunkelheit haben wir uns in Tirana überall sehr sicher gefühlt.

Warst du schon einmal in Tirana? Wie ist es dir ergangen und wie waren deine Eindrücke?
Hinterlasse mir gerne einen Kommentar! Deine Julia

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