Den letzten größeren Ort Bajram Curr haben wir bereits vor einer Stunde mit unserem Wagen passiert. Seitdem folgen wir der gut ausgebauten Straße entlang des türkis schimmernden Gebirgsflusses „Lumi e Valbones“ immer höher und tiefer in die albanischen Accursed Mountains.

Es ist heiß an diesem Mittag im August 2017, und hier und da sieht man einheimische Kinder im Fluss baden, doch überwiegend begegnet uns niemand auf der gesamten Strecke.

An einer morschen Brücke (siehe Titelfoto) parke ich unseren Golf am Straßenrand, und wir laufen auf die gegenüberliegende Flussseite. Dort liegt ein Friedhof und…eine alte Moschee. Welch´ ein surrealer Anblick in dieser den Alpen ähnlichen Landschaft!

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Friedhof und alte Moschee im Valbonatal.

Aus dem Kosovo kommend, ist unser heutiges Ziel Valbona im gleichnamigen Nationalpark im Norden Albaniens. Eigentlich nicht einmal ein Dorf, eher eine Hochebene mit einigen Gasthäusern und einem Campingplatz, wo die beiden US-Amerikaner Catherine und ihr Mann Alfred ein Paradies für Hiker und solche, die es werden wollen, aufbauen.

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Ankunft auf der Hochebene Valbona.

Per Zufall hatte ich einen Lonely-Planet-Artikel über diese Region entdeckt, und sofort war klar, dass der Nationalpark auf unserem großen Osteuropa-Roadtrip nicht fehlen darf!

Nach einigem Suchen entdecken wir auch den Abzweig zum Gasthaus Rezidenca, wo ich uns für zwei Nächte ein Zimmer gebucht habe, und sind erleichtert, als wir nach einigen hundert Metern Dirt-Road inklusive tiefer Schlaglöcher das wunderschön in der Natur gelegene Holzhaus mit unserem Golf erreichen.

Der Hausherr Shkodran begrüßt uns mit Handschlag und breitem Grinsen – „Welcome to our little paradise“! Er habe uns das schönste der insgesamt 12 Zimmer, direkt unter dem Dach reserviert. Und in der Tat, der Ausblick vom Balkon auf die umliegenden Berge ist spektakulär! Dafür nehmen wir in Kauf, Taschen über 4 Etagen schleppen zu müssen, denn einen Aufzug sucht man vergebens.

Auf der Gartenterrasse des Gasthauses machen es sich schon einige der anderen Gäste, Backpacker, Wanderer und Weltenbummler wie wir, bei einem kühlen Bier gemütlich. Doch wir brechen noch einmal auf zu einigen Ruinen und Bunkern, die wir bei unserer Suche nach dem Gasthaus am Straßenrand der Hauptstraße entdeckt haben, und die nun im perfekten Nachmittags-Sonnenlicht liegen. Wir lieben solche Lost Places und sind wirklich begeistert von der gesamten Kulisse dieses Ortes mitten im Nirgendwo!

Zurück in der „Rezidenca“ lassen wir den Abend bei Spaghetti Bolognese und einem Bier ausklingen und fallen danach glücklich ins Bett.

Der Wecker im Wanderparadies klingelt früh, denn alle wollen im Sommer möglichst vor der Mittagshitze einen Großteil ihrer Tour zurück gelegt haben. Und so finden wir uns bereits gegen 6 Uhr morgens im spartanisch eingerichteten Frühstücksraum wieder. Jeder bekommt einen Pott Kaffee, zwei Scheiben Graubrot mit Kajmak und Käse, sowie einen Pancake mit Marmelade.

Dann packt Shkodran die große Wanderkarte aus, und jeder kann sich individuell von ihm für eine Tour beraten lassen. Catherine und ihr Mann haben seit ihrer Ankunft hier vor 7 Jahren viele Wege und Touren beschildert und farbig markiert, wie man es aus den Alpen kennt.

Wir entscheiden uns für den 9 Kilometer langen Rundweg „Maja e Rosit“. Den Trailhead haben wir bereits gestern entdeckt und stellen dort das Auto ab.

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Das ausgetrocknete Flussbett des Flusses „Lumi e Valbones“ auf der Hochebene von Valbona.

Nachdem wir das fast komplett ausgetrocknete Flussbett überquert haben, geht es bergauf. Lange begegnet uns niemand außer ein paar Kühen samt typischen Kuhglocken. Ich fühle mich zurück versetzt in meine Kindheit, erinnert an Wanderungen mit meinen Eltern in Österreich, und so vergehen die ersten 2-3 Kilometer recht schnell.

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Spektakuläre Berglandschaft in den albanischen Accursed Mountains.

Doch dann wird es immer steiler und mühsamer, und wir sind unsicher, ob wir wirklich den richtigen Weg eingeschlagen haben. Es stellt sich als Fehler heraus, dass wir beide nur insgesamt 1,5 Liter Wasser mitgenommen hatten, denn schon bald ist es ziemlich heiß und wider Erwarten finden wir keinen einzigen der auf der Wanderkarte eingetragenen Brunnen, wo man angeblich Trinkwasser abfüllen kann.

Wir sind beide recht sportlich, aber nicht die großen Wander-Liebhaber, und so erreichen wir nur unter einigem Fluchen nach etwa 3 Stunden den „Gipfel“ des Weges auf 2520m ü.N. Lustiger Weise treffen wir hier auf eine Gruppe junger Österreicher aus unserem Gasthaus, die den Weg in umgekehrter Richtung laufen und sich ebenfalls über die Länge und Steilheit des Trails wundern. Ob die Kennzeichnungen und Infos hier wirklich alle so korrekt sind?! Wir unterhalten uns eine Weile und schießen gegenseitig ein paar Erinnerungsfotos, um dann jeweils weiter zu ziehen.

Zum Glück führt uns der Weg bergab nun durch dichten Wald, sodass wir etwas vor der brennenden Sonne geschützt sind. Es ist trotz der Hitze wunderschön grün und es blühen so viele Pflanzen. Jetzt da es nicht mehr mühsam aufwärts geht, kann ich den Weg und die Umgebung auch wieder genießen. Irgendwie erinnert mich die Szenerie an Kanada oder an unsere Wanderungen im Glacier Nationalpark im Norden der USA. Apropos: Gerade knackt es hinter mir im Wald und mich durchfährt ein riesiger Schrecken…gibt es hier eigentlich Bären???

Ich schaue mich um, traue mich aber nicht, diesen Gedanken laut auszusprechen. In Kanada und USA wird man bei jeder Einfahrt in einen Nationalpark vor Bären gewarnt und jeder Wanderer weiß, dass er ein Bärenglöckchen am Rucksack befestigen soll, um auf sich aufmerksam zu machen und Bären möglichst zu verscheuchen. Mein Gott sind wir naiv, denke ich, natürlich gibt es Bären auf dem Balkan!

Ich muss zugeben, dass die Tatsache, dass ich kein Wasser mehr habe, durch meine Gedanken an Bären etwas in Vergessenheit gerät und ich beschließe, mich von nun an ständig mit Daniel zu unterhalten, damit wir zumindest dadurch, so hoffe ich, einem Bären auffielen.

Statt eines Bären begegnen uns jedoch als nächstes zwei Polen. Schnaufend in Turnschuhen, Shorts und oberkörperfrei. Alles was sie bei sich tragen ist ein Kanister Wasser, der allerdings bereits fast leer ist! Seit zwei Stunden laufen sie bergauf, erklären sie uns, wie weit es denn noch sei?! Als wir ihnen antworten, dass sie noch mindestens zwei bis zweieinhalb Stunden vor sich haben, verziehen sie das Gesicht und stapfen wortlos weiter.

Und auch für uns sind die letzten beiden Stunden bergab Gekraxel über zum Teil glatte, große Steine keine Freude. Meine Oberschenkel-Muskulatur brennt, und ich muss höllisch aufpassen, dass ich mich nicht vertrete und umknicke. Außerdem ist mein Durst inzwischen fast unerträglich, als wir endlich wieder die Ebene von Valbona und das breite, fast ausgetrocknete Flussbett erreichen. Mit letzter Kraft stapfe ich einfach mit meinen Wanderschuhen durch den eiskalten Fluss und zurück zum Auto.

1586 Höhenmeter und etwa sechseinhalb Stunden sagt das Schild am Trailhead…vielleicht sind die Angaben hier doch nicht so verkehrt!

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Trailhead unserer Wanderung „Maja e Rosit“.

Als wir zurück in der „Rezidenca“ beim Abendessen sitzen, erzählt uns Shkodran, dass Catherine bei einer ihrer Touren durch die Umgebung von einem Bären angegriffen und verletzt worden ist. Ich muss schlucken und denke „Und das erzählst du uns nach unserer Wanderung?!“, um dann doch dankbar zu sein, dass ich es nicht vorher gewusste habe.

Fazit:

Es gibt sie noch, die unberührten Naturparadiese, und Valbona gehört definitiv dazu! Selbst um nicht zu wandern, sondern einfach die Seele baumeln zu lassen, ein bisschen Spazieren zu gehen und im Fluss zu baden, ist das hier der perfekte Ort, und ich habe es bereut, nur 2 Nächte gebucht zu haben! Die Abgelegenheit macht das Valbonatal zu einer Oase der Ruhe und immer noch zu einem echten Geheimtipp!

Wissenswertes:

Anreise? Wer nicht wie wir mit dem eigenen Auto über den halben Balkan fahren möchte, hat mehrere Möglichkeiten: Es fahren Minibusse von Tirana, Shkoder oder Prishtina im Kosovo. Alle brauchen so 6-8 Stunden nach Valbona. Ich denke, die einfachste Möglichkeit ist es, einen Mietwagen in einer der drei Städte zu nehmen und selber zu fahren, um flexibler zu sein.

Straßenverhältnisse? Meine Güte habe ich mir Sorgen gemacht über unsere Anreise mit einem ganz normalen Kleinwagen. Schlussendlich hatten wir überhaupt kein Problem! Die Straße von Bajram Curr ins Valbonatal ist gerade frisch geteert worden, und man braucht definitiv keinen 4×4 Wagen, um Valbona zu erreichen.

Unterkunft? Wer nicht campen möchte: Catherina und Alfred betreiben drei Guesthouses. Das unter Backpackern bekannteste ist das Hotel Rilindja (12,50€ p.P. pro Nacht). Außerdem gibt es das Farmhouse Hostel (15€ p.P. pro Nacht). Da in den beiden Häusern nicht jedes Zimmer ein eigenes Badezimmer hat, haben wir uns für das neueste Haus, die Rezidenca entschieden (45€ für ein Doppelzimmer). Erwartet keinen Luxus in diesen Unterkünften, aber es ist alles da, was man braucht!

Internet? Das Valbonatal ist ziemlich abgeschieden. Es gibt meistens kein Handynetz. Die WLan-Verbindung in unserem Guesthouse war wackelig, aber okay.

Achtung: Wie in meinem Artikel beschrieben, nehmt bitte ein Bärenglöckchen und ausreichend Wasser auf eure Wanderungen mit!!!

Lesetipp: Dieser Lonely-Planet-Artikel beschreibt einen Rundtrip ins Valbonatal von Shkoder aus. Alle weiteren Infos zu Kontakten, Reservierungsmöglichkeiten etc. findest du auf Catherines Seite Journey to Valbona.

Interessierst du dich generell für Reisen auf dem Balkan? Oder hast du spezielle Fragen zu unserem Trip?
Dann schaue gerne in meiner Kategorie Osteuropa vorbei oder hinterlasse mir einen Kommentar! Deine Julia

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Nationalpark Valbonatal