Es gibt diese Orte auf der Welt, an denen man sich die Augen reibt und sich fragt, ob dieser Anblick gerade Wirklichkeit ist. Oft sind das ganz besonders schöne oder berühmte Orte. Mir erging es z.B. so bei unserem Ballonflug über Bagan oder beim ersten Blick auf Machu Picchu. Manchmal überfällt Daniel und mich dieses Gefühl aber auch an einem Ort, der auf den ersten Blick so gar nicht schön ist.
Als wir in diesem Sommer im bulgarischen Balkangebirge mit unserem Golf die Serpentinen des 1441 Meter hohen Berges Chadschi Dimitar erklimmen, sich der Wald lichtet, und wir das Buzludha-Denkmal zum ersten Mal in der Ferne erblicken, ist das genau so ein Moment. Ich bremse abrupt und halte am Fahrbahnrand, weil mich der Anblick so überwältigt: Ein riesiges „UFO“ genau auf dem Gipfel des Berges. Sofort zücken wir die Kameras, was für ein Motiv, bereits von hier aus!
Da die Straße aber bis ganz nach oben führt, wenn auch in ziemlich schlechtem Zustand, fahren wir noch weiter hoch.
Es ist Nachmittag, trotzdem parken nur wenige Autos am Ende der Straße. Unsere Sorge, dass sich zu viele Menschen hier oben aufhalten und beim Fotografieren dieses fantastischen „Lost-Place“ vor unsere Linsen springen, war also zum Glück unbegründet.
Das riesige graue Gebäude, welches nun direkt vor uns liegt, ist ein Denkmal zu Ehren der kommunistischen Partei Bulgariens. Der damals umgerechnet mehr als 7 Millionen US-Dollar teure Bau wurde 1981 zur 1300-Jahr-Feier der bulgarischen Staatsgründung eingeweiht.
Wir umrunden das Gebäude, das sich seit dem Zusammenbruch des sozialistischen Staates im Jahr 1989 in immer schlechter werdendem Zustand befindet, staunend. Von jeder Seite gibt es etwas Neues zu entdecken. Bunte Graffiti sind inzwischen wesentlicher Bestandteil des Anblicks.
In roten lateinischen Buchstaben steht über dem ehemaligen Eingang „Never forget your past“.
Rechts und links davon gibt es zwei kyrillische Inschriften aus riesigen Beton-Buchstaben, von denen heute viele fehlen.
Es handelt sich hierbei um den Text des Kampfliedes „Die Internationale“, das Lied der sozialistischen Arbeiterbewegung. Es gilt weltweit als Hymne der Arbeiterklasse. Der Anfang des Textes lautet übersetzt ungefähr so:
„Wachet auf, verachtete Kameraden, wachet auf, Heer der Sklaven. Niedergeschlagen und gedemütigt, wehrt euch gegen den Feind! Lasst uns ohne Barmherzigkeit und ohne Vergebung das alte, schlechte System abschaffen. Arbeitende Männer und Frauen aller Länder, kommet zusammen…“.
Es lohnt sich für eine andere Perspektive einen kurzen Spaziergang über die Alm-ähnlichen Wiesen auf den Hügel gegenüber dem Denkmal zu machen.
Deutlich erkennt man von hier den kommunistischen „roten Stern“, angebracht am 115 Meter hohen Turm des Gebäudes. Der Stern wurde früher bei Nacht von innen beleuchtet.
Leider ist der Zutritt ins Innere des Gebäudes aus Sicherheitsgründen inzwischen gesperrt und verboten. Zu schwerwiegend ist der Verfall, auch hervorgerufen durch Vandalismus von Besuchern.
Auf dem Weg zu unserer Unterkunft in Shipka, einem Dorf am Fuße des Berges, überlegen wir uns, was für ein unglaublicher Aufwand es gewesen sein muss, dieses Gebäude samt seiner 9 Meter dicken Platform, auf der es steht, auf dem Gipfel zu errichten. Es heißt, dass 6000 Menschen am Bau beteiligt waren. Heute erscheint die Zukunft des Denkmals ungewiss.
Wissenswertes:
→ Anreise? Wohl nur mit einem Auto/Camper/Motorrad möglich. Es gibt keine Busverbindung auf den Berg. Die Straße, die vom 12 Kilometer entfernten, berühmten Shipka-Pass dorthin führt, ist extrem schlecht! Schneller geht’s über die Serpentinenstraße, die zwischen den Orten Shipka und Kran von der E85 abzweigt.
→ Wo übernachten? Es gibt einige Unterkünfte wenige Minuten Fahrzeit unterhalb des Monuments, u.a. das Hotel Edelweiß. Der nächste Ort im Tal ist Shipka mit 3-4 einfachen Gasthäusern. Wir haben dort für 24€ im Gasthaus Perenika übernachtet. Oder ihr zeltet direkt am oder unterhalb des Denkmals auf den umliegenden, saftig grünen Wiesen.
→ Tipps für Fotografen: Der Eingang des Denkmals liegt zum Sonnenaufgang im idealen Licht.
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