„Casa do Sândalo, Casa do Sândalo“, wie ein Mantra wiederholt unser Taxifahrer den Namen unserer Unterkunft, währenddessen er immer wieder falsch abbiegt und scheinbar keine Ahnung hat, wo sich das Ziel befindet. Es wird schon dunkel, und wir sind wegen des verspäteten Abflugs in Darwin sowieso schon spät dran für den Check-In in unserem Quartier in Dili, Osttimors Hauptstadt. In der Karten-App maps.me haben wir das Haus markiert – wir sind inzwischen bereits 2x daran vorbei gefahren – und versuchen vergeblich erst auf Englisch, dann auf Spanisch, da wir beide weder des Portugiesischen noch der Landessprache Tetum mächtig sind, unserem Fahrer zu helfen. „Na, das kann ja heiter werden in den nächsten Tagen“, denke ich. Endlich steigt unser Fahrer aus und fragt jemanden nach dem Weg und tatsächlich, wir kommen doch noch dort an, wo wir hin wollen!
Zugegeben, nach 4 Wochen im sicheren, wohlhabenden Australien fremdeln wir ein bisschen mit der neuen Umgebung. Hätten wir vielleicht doch einfach länger in Australien bleiben sollen, statt uns noch auf ein völlig anderes, neues Land einzulassen?
Ausgeschlafen und beim leckeren Frühstück am nächsten Morgen im schönen Innenhof unserer Unterkunft sitzend, sieht die Welt zum Glück aber schon wieder anders aus, und unser Entdeckergeist ist neu geweckt.
Osttimor ist für die meisten Europäer eine Unbekannte auf der Landkarte, und in Australien bekommen wir von überraschten Blicken („Was macht man denn da?!“) bis zu gut gemeinten Ratschlägen („Das ist ein Dritte-Welt-Land!“) die unterschiedlichsten Reaktionen in Bezug auf unsere Reisepläne. Fest steht jedenfalls, dass das Land zu den jüngsten der Welt gehört – es ist erst seit 2012 wirklich unabhängig – und, dass es kaum Tourismus gibt. Da es außerdem von Darwin in 1:20h mit dem Flugzeug zu erreichen ist, war es für uns als Reiseziel unwiderstehlich.
Drei Tage erkunden wir die quirlige Hauptstadt und ihre Bewohner, und sind jeden Tag auf´s Neue total begeistert. Los geht’s:
1. Uferpromenade
Am Vormittag des ersten Tages spazieren wir zunächst entlang Dilis Uferpromenade vorbei am Regierungspalast und am Hafen, wo die Fähren zur vorgelagerten Insel Ataûro ablegen. Zwischen Hauptstraße und Strand verläuft ein Fußweg, zunächst unter Schatten spendenden Bäumen. Hier trifft man viele Einheimische, die kleine Verkaufsstände vor sich aufgebaut haben.
Wie immer am ersten Tag in einem fremden Land, versuche ich erst einmal ein Gefühl dafür zu bekommen, wie die Menschen auf uns reagieren. Ich lächele freundlich, Daniel macht die ersten Fotos, und sehr schnell bemerken wir große Freude und Offenheit der Menschen. Immer wieder werden wir hergewunken und gebeten, Fotos zu machen.
Schon bald steht eine Gruppe Schüler vor uns, die zu einem Englisch-Kurs gehören und gerne ein Interview mit uns machen wollen, weshalb wir Osttimor bereisen, wie es uns gefällt und wie wir die Menschen empfinden. Etwas schüchtern und unbeholfen stellt eine Schülerin die Fragen, während eine andere mit dem Handy filmt. Und alle freuen sie sich wie die Schneekönige über den Kontakt und die anschließende Fotosession mit uns. Das wird uns die nächsten Tage immer wieder begleiten, denn in Ermangelung an Touristen geraten alle diese Schüler-Gruppen irgendwann an uns 😀

2. Leuchtturm
Dilis Leuchtturm (Farol) liegt westlich des Hafengebiets und besteht aus einer grün-weißen Basis, auf der ein weißes Stahlgerüst steht.

Um den Leuchtturm und die Promenade weiter Richtung Westen spielt sich ab dem Nachmittag, wenn die Hitze nachlässt, Dilis junges Leben ab. Vor allem die jungen Männer gehen joggen und machen Krafttraining, und Paare spazieren den Stadtstrand entlang.

3. Castaway Bar
Dieses bunte Treiben, aber auch die untergehende Sonne beobachtet man wunderbar aus der Castaway Bar. Mit Blick aufs Meer und einer kühlen Brise im Gesicht kehren wir, wie auch die wenigen anderen Traveller sowie Mitarbeiter der umliegenden Botschaften, hier immer wieder auf ein kaltes Bintang Bier ein. Auch das Essen schmeckt sehr gut.
Im angrenzenden „Dive Timor Larosae“ lassen sich zudem Tauch- und Schnorchelausflüge buchen.
4. Wohnviertel Kampung Alor
In den staubigen Gassen dieses sich hinter der Bar anschließenden Wohnviertels bekommt man einen guten Eindruck vom Leben und Wohnen der ärmeren Bevölkerung von Dili. Haustiere, vor allem Schweine und Geflügel, Wellblech und Planen prägen hier das Stadtbild.
Wie oft in solchen einfacheren Gegenden schlägt einem trotz der Armut geballte Lebensfreude entgegen. Es dauert nicht lange und wir sind von zahlreichen Kindern umringt, die alle vor Daniels Kamera posieren und fotografiert werden möchten. Reiseerlebnisse, wie wir sie lieben!

5. Widerstandsmuseum
Wer sich ausführlicher mit Osttimors trauriger Geschichte befassen möchte, dem empfehle ich den Besuch des Resistance Museums und/oder der Chega! Exhibition im ehemaligen Gefängnis Comarca. Beide Orte beschäftigen sich mit der Aufarbeitung von Osttimors Geschichte – vom Rückzug der portugiesischen Kolonialmacht in den 70er Jahren über die jahrzehntelange Besetzung und Gräueltaten Indonesiens, während derer mehr als ein Viertel der Zivilbevölkerung grundlos umgebracht wurde, bis zur Unabhängigkeitserklärung im Jahre 2002, den Unruhen 2006 und der anschließenden UN-Übergangsregierung bis 2012.

6. Santa Cruz Friedhof
Als optimaler Anschlusspunkt nach dem Museumsbesuch bietet sich dieser Friedhof an, denn hier fand 1991 eines der schrecklichen Massaker durch indonesische Soldaten statt: Während einer Demonstration gegen die indonesische Besatzung griff das indonesische Militär die Demonstranten an, 271 Menschen starben, 382 wurden verletzt und 270 Menschen verschleppt. Bis heute fehlt von ihnen jede Spur. Das Massaker war jedoch ein Wendepunkt in der Geschichte Osttimors, denn es lenkte endlich mehr internationale Aufmerksamkeit auf den 16 Jahre währenden Konflikt.

Heute liegt der Friedhof wieder still und friedlich am Rande der Stadt. Pastellfarben gekachelte Grabsteine reihen sich kreuz und quer aneinander – an mancher Stelle ist kein Durchkommen – eigentlich ein schöner Ort.
7. Sakrale Bauten
Fast alle Einwohner Osttimors sind christlichen Glaubens, davon 97% Katholiken. Während der portugiesischen Kolonialherrschaft war der katholische Glaube hauptsächlich auf Dili beschränkt. Durch den Freiheitskampf gegen die überwiegend muslimischen Indonesier wurde die Katholische Kirche jedoch zur einigenden Klammer. In keinem anderen Land der Erde hat die Katholische Kirche in den letzten Jahrzehnten einen derart großen Zuwachs erreicht.
Daher wundert es nicht, dass die größte Kirche Südostasiens in Dili steht, die Catedral da Imaculada Conceiçâo. Die älteste bestehende Kirche in Osttimor ist die Kirche Santo Antonio de Motael im portugiesischen Stil. Ebenfalls schön anzusehen ist die größte Moschee Osttimors, die Annur-Moschee,sowie der chinesische Guandi-Tempel.



8. Märkte
Wie in vielen asiatischen Ländern wird fast an jeder Straßenecke etwas feilgeboten. Früchte wie Kokosnüsse, Mangos, Nüsse, aber auch Süßigkeiten und anderes. Zwei Märkte in Dili sind jedoch besonders: Der Mercado de Tais bietet vor allem Stoffartikel. Von bunten Tüchern, Schals über Taschen bis hin zu gewebten Teppichen – dem Souvenir-Shoppen ist hier kein Ende gesetzt. Der andere ist der Bauernmarkt Mercado fruta e vegetais an der Avenida Marginal, der wohl die am sorgfältigsten geordneten Markt-Stände ganz Südostasiens besitzt.
9. Statue Christo Rei
Die große Jesus-Statue Christo Rei ist das Wahrzeichen Dilis. Sie überblickt vom östlichen Ende der Bucht die gesamte Stadt. Die aus Kupfer gefertigte Statue samt Globus und Sockel ist 27 Meter hoch und wurde 1988 von der Besatzungsmacht Indonesien errichtet, um sich bei der überwiegend katholischen Bevölkerung beliebt zu machen.
Um uns das Kunstwerk anzuschauen, besteigen wir daher am Vormittag unseres dritten Tages beim Mercado fruta e vegetais ein Mikrolet (siehe „Fortbewegung“ unter „Wissenswertes“) mit der Nummer 12, welches die Statue als Endstation anfährt. Immer entlang des türkis-blau-schimmernden Meeres fahren wir bis zum Ende der Bucht. Danach heißt es Treppen steigen, ca. 800 an der Zahl – bei der Hitze ganz schön anstrengend und schweißtreibend. Die Treppen führen vorbei an einem Kreuzweg mit 14 Stationen und einer kleinen, unterhalb der Statue in den Felsen gebauten Kapelle, bis ganz nach oben auf die Platform.
Ehrlich gesagt enttäuscht mich die Statue, die ziemlich schmutzig und gammelig aussieht, aber der Ausblick von dort oben auf Dili, einige Strände und die umliegenden Berge ist einzigartig, absolut lohnend! Der Ort ist unter Einheimischen und Expats auch zum Sonnenuntergang sehr beliebt.
10. Strände
Die gesamte Bucht von Dili wird abschnittweise immer wieder von Sandstränden gesäumt. Der Stadtstrand direkt um den Hafen ist etwas dunkler, das Wasser ziemlich braun und schmutzig. Viele Abwasserkanäle enden direkt im Meer – Schwimmen ist hier wohl nicht zu empfehlen, auch wenn man einige einheimische Kinder im Wasser spielen sieht.

Sehr schön sieht der Praia da Areia Branca aus, der etwa 3 Kilometer östlich von Dilis Zentrum auf dem Weg zur Christo Rei Statue liegt, sowie der Praia Christo Rei direkt unterhalb der Statue. Ruhiges Wasser, feinster weißer Sand und Schatten spendende Bäume lassen diese Strände aus der Ferne wie Bilderbuchstrände wirken. Leider befinden sich im Wasser entlang der gesamte Küste, vor allem bei Ebbe sicht- und spürbar, scharfkantige, spitze Felsen, welche entspanntes Baden quasi unmöglich machen.
Wie von der Platform der Christo Rei Statue aus sichtbar, gibt es auch auf der anderen Seite des Berges noch einen Strand, den sogenannten One Dollar Beach, der über eine Treppe zu erreichen ist, die von der Treppe hoch zur Statue abzweigt. Dieser liegt tatsächlich fernab von jeglichen Besucherströmen und eignet sich gut zum Schnorcheln und einsamen Sonnenbaden.

Fazit:
Ohne Erwartungen kommend hat uns Dili richtig gut gefallen. Vom Stadtbild her eher einer lateinamerikanischen als einer asiatischen Stadt ähnelnd, gibt es so viel zu entdecken, so viel Leben, so freundliche, offene Menschen und leckeres Essen. Durch die lange Anwesenheit der UN scheint der Lebensstandart der Bevölkerung insgesamt relativ hoch zu sein – was sich allerdings auch in den Preisen in Supermärkten und beim Essen gehen (etwa $15 pro Mahlzeit) widerspiegelt. Von den Stränden habe ich mir etwas mehr erhofft, aber das kann wohl sowieso kein ausschließlicher Grund sein, nach Osttimor zu fliegen.
Wissenswertes:
→ Reisezeitraum? 12.-17. August 2018
→ Anreise? Direktflüge nach Dili gibt es nur von Darwin (Australien), Denpasar (Bali) und Singapur.
→ Visum? Deutsche Staatsbürger brauchen kein Visum zu kaufen, sondern bekommen bei der Einreise einen Sichtvermerk in den Reisepass gestempelt, der sie zum Aufenthalt von 90 Tagen im Land berechtigt.
→ Unterkünfte? In Dili gibt es etwa 20 Hotels, die man gut über booking.com buchen kann. Wir waren im „Casa do Sândalo“, welches der mexikanische Konsul auf dem Grundstück des mexikanischen Konsulats betreibt – absolut sicher und sehr zu empfehlen!
→ Sprache? Die ältere Bevölkerung, die noch die portugiesische Kolonialzeit erlebt hat, spricht Portugiesisch und die Landessprache Tetum. Unter den jungen Menschen in der Hauptstadt kommt man mit Englisch gut zurecht.
→ Währung? Offizielle Währung ist der US-$.
→ Fortbewegung? Es gibt zwei verschiedene Taxi-Unternehmen: Die normalen gelben, die man überall rumfahren sieht (hier muss man den Fahrpreis verhandeln, da sie kein Taxameter besitzen) und die blauen „Blue Taxis“, von denen es nur sehr wenige gibt. Letztgenannte sind die sichere Variante bei Dunkelheit, außerdem besitzen sie ein Taxameter. Sie bestellt man per Anruf unter 77427777. Die Einheimischen fahren meist mit dem Mikrolet, Kleinstbussen, die auf verschiedenen Linien (1-12) bis 19 Uhr abends durch Dili verkehren. Sie haben keine wirklichen Haltestellen, man steigt auf Zuruf ein und aus, und der genaue Routenverlauf hat sich uns auch nicht erschlossen. Die Fahrt für 25 Cent p.P., egal wie weit man fährt, ist aber billig und unterhaltsam – unbedingt ausprobieren!

→ Sicherheit? Tagsüber ist Dili ein sicherer Ort. Egal wo man sich in der Stadt bewegt, überall wird man freundlich begrüßt und neugierig angesprochen – wir haben uns sehr wohl gefühlt. Überfälle auf Westler sind unbekannt. Uns wurde allerdings geraten, nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr zu Fuß unterwegs zu sein. Bandenkriminalität, Überfälle und sexuelle Belästigung gegenüber Frauen seien dann unvermeidlich.
→ Touristeninformation? An der Avenida Marginal, gegenüber dem Hotel Novo Turismo Resort & Spa, befindet sich eine Touristeninformation.
→ Achtung: Die Straßennamen in GoogleMaps stimmen zum Teil nicht mit den tatsächlichen Namen überein! Am besten verwendet ihr die App maps.me zum Navigieren.
Kannst du dir nun vorstellen nach Osttimor zu reisen? Ja oder eher nein?
Hinterlasse mir gerne einen Kommentar! Deine Julia
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4. April 2021 at 16:43
Danke für den schönen Artikel. Ich war „aus Versehen“ ca. 1989 in Osttimor und Dili gelandet und absolut fasziniert von Leuten und Natur, wenngleich die Stimmung damals kurz nach Aufhebung der indonesischen Einreisebeschränkungen zum Teil sehr bedrückend war und wir nur privat oder in verlassenen Hotelgebäuden übernachten konnten. Mir fehlen auf den Bildern die damals tollen Betonumkleidekabinen in Muschelform. Wohl wurden diese abgerissen? Die Strände im Westen Timors und das Inland in der Umgebung von Maubisse sind wahrscheinlich bis heute grandios!
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5. April 2021 at 11:51
Lieber Bernd,
danke für deinen kurzen Einblick in Osttimor 1989, klingt sehr spannend! Aber wie landet man aus Versehen in einem Land? 😀
Viele Hotels hat es ja bis heute nicht, aber natürlich ist die Situation insgesamt entspannter, wenngleich die Bevölkerung immer noch sehr arm ist, v.a. im Hochland. Die Muschel-Betonumkleidekabinen haben wir nicht mehr gesehen, nein.
LG, Julia
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