Bildbände über Architektur, Menschen oder Landschaften sind immer ein Genuss für die Augen. Und auch wir haben daher ein ganzes Regalbrett unseres großen Bücherregals im Wohnzimmer reserviert für diverse Bildbände (großer) Fotografen. Als begeisterte Lost-Places-Jäger findet sich selbstverständlich auch dazu thematisch Passendes. Daher habe ich mich sehr gefreut über die Anfrage des Mitteldeutschen Verlags, den in diesem Jahr neu erschienenen Bildband „VERGESSENER GLANZ Lost Places in Europa“ der Fotografin Carina Landgraf auf meinem Blog vorstellen und rezensieren zu dürfen.
Eine Tür in eine andere Welt
Ein langer Flur mit roter Gewölbedecke, die sich in den Pfützen auf dem Boden spiegelt, Putz blättert von den Wänden, auf der linken Seite eine kleine Ansammlung von herabgefallenen Ziegelsteinen. Man meint förmlich einen modrig, feuchten Geruch zu riechen beim Betrachten eines der ersten Bilder, welches uns im Bildband „Vergessener Glanz“ begegnet. Es zeigt einen Gang des Kaiserlichen Kurbads eines rumänischen Kurortes. Einer von 22 vergessenen und verlassenen Orten, sogenannten Lost Places, die Landgraf in ihrem Bildband versammelt. Dafür reiste sie durch 12 Länder Europas, von Deutschland über Belgien, Frankreich, Italien, Kroatien, Luxemburg, Österreich, Polen, Rumänien, Slowenien, Tschechien bis Ungarn, um leerstehende Herrschaftssitze, unbewohnte Häuser, ehemalige Ballsäle, eine Klinik, alte Fabriken, sowie rostende Autos und Flugzeuge abzulichten.
„Zeitkapseln voller Geschichten – traurig und schön zugleich!“
Carina Landgraf (*1980)
Vergangene Schönheit farbenreicher Objekte
Landgraf versteht sich als Chronistin vergangener Pracht. Das spiegelt sich in vielen ihrer Fotografien des vorliegenden Bildbands wieder, zeigen sie doch zu etwa zwei Dritteln ehemals glanzvolle, imposante Räume mit kunstvollen Decken. Ob in der italienischen Villa, im ungarischen Theater, im polnischen Märchenschloss, im tschechischen Ballsaal sowie der barocken Kirche, dem bereits erwähnten Kurbad, dem ebenfalls in Rumänien liegenden jüdischen Gebetshaus sowie den beiden Objekten in Frankreich. Durch ihre Symmetrie-orientierte Auffassung sowie weiche Kontraste und Übergänge ihrer Fotografien lässt sie vergangene Schönheit der oft farbenreichen verlassenen Objekte wieder aufleben. Dadurch erhalten auch vermeintlich düstere Orte, wie der Autofriedhof, die Klinik, die Dieselmaschinen-Fabrik oder die ausgeschlachteten Kampfjets eine gewisse Ansehnlichkeit. Der Schwerpunkt ihrer Fotografien liegt dadurch eher auf ästhetischen Einblicken in Historie und Kultur denn auf Zerstörung und objektiver Hässlichkeit dieser ja auch häufig von Vandalismus betroffenen Orte. Vielleicht ein eher weiblicher Blick auf Lost Places, denen sich Landgraf zusätzlich mit gut recherchierten und informativen, kurzen Texten nähert.
Ein sozialistisches Lehrzentrum als Ausnahme
Sowohl die Auswahl als auch Landgrafs Art der Fotografie und Bearbeitung der Fotos der Lost Places im vorliegenden Bildband ist dadurch aber auch relativ gefällig, für meinen Geschmack fast zu perfektionistisch. Fast alle ihre Fotografien sind hell und freundlich. Auf den meisten Bildern nimmt sie eine sauber ausgerichtete, mittige Betrachter-Position mit ihrer Kamera ein, um jegliche Form von stürzenden Linien zu vermeiden. Ebenso verzichtet Landgraf auf Weitwinkelverzerrung, wodurch manche ihrer Fotografien flach wirken. Eine Ausnahme hiervon bilden die Fotos der brutalistischen Sozialismus-Parteischule Titos in Kroatien, auf denen nicht nur maßlose Zerstörung, sondern auch geradezu abstoßende Farben und Objekte zu sehen sind, und die ich daher im gesamten Bildband am faszinierendsten finde.



VERGESSENER GLANZ Lost Places in Europa
von Carina Landgraf
Seitenzahl: 240 Seiten
Genre: Bildband
Zusatzinfo: Gebunden, 210 x 260 mm, Farbabbildungen mit Texten in deutscher Sprache von Carina Landgraf
Verlag: Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale)
Bestellnummer: ISBN 978-3-96311-176-1
Preis: 28,00 €
Offenlegung: Dieser Bildband wurde mir freundlicher Weise kostenlos vom Verlag zur Rezension zur Verfügung gestellt. Diese Tatsache hat keinen Einfluss auf meine persönliche Meinung!
23. November 2021 at 13:54
Das hört sich ja superspannend an. Sehr schön, dass du total Lust auf dieses Buch machst, ohne zu viel zu verraten. Jetzt werden da aber zwei Lost-Place-Fans richtig neugierig… Liebe Grüße!
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23. November 2021 at 14:17
Sehr gerne, liebe Gabriele! Sind einige spannende Orte drin. Viel Spaß beim Entdecken 😉
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