Nein, Varanasi meint es bislang nicht gut mit uns. Nach der Höllen-Anreise mit dem Nachtzug aus Gwalior (Alptraum auf Schienen – Mit dem Nachtzug durch Indien) lädt uns ein Fahrer am späten Abend am Hotel Cresent Villa ab, welches wir am Folgetag mit wehenden Fahnen sofort wieder verlassen werden. Der Grund: Schmutzige, klamme Handtücher, eklige Flecke auf der Bettwäsche, verschmutzte Wände, die Lichtschalter möchte man lieber nicht berühren, und wofür braucht man auch schon eine Heizung bei 5°C in der Nacht?! Zudem liegen bei unserer Ankunft mehrere junge Männer, die offensichtlich Bewusstsein „erweiternde“ Mittel konsumiert haben, auf Matratzen in der Lobby. Na prima, denke ich…das wird wohl wieder keine erholsame Nacht.

Doch dann, am nächsten Morgen, nachdem wir nicht einmal ein, zwar angekündigtes, Frühstück im Hotel erhalten haben, ein Lichtblick: Unser Guide, den wir für Varanasi schon von Deutschland aus gebucht haben. Er erkennt unsere Misere sofort und verkündet zuversichtlich: „Let´s go, I´ll show you the best Coffe-House in town!“ Und nicht nur das, auf dem Weg dorthin zeigt er uns auch direkt noch ein günstiges, sauberes Hotel, das Hotel Haifa, welches wir für die zweite Nacht in Varanasi beziehen werden.

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Straßenkreuzung zwischen Hotel Haifa und Café Open Hand.

Bei Cappuccino und Rührei im Open Hand Shop & Café – wirklich sehr zu empfehlen! – erholen wir uns ein bisschen von den Reise-Strapazen der vergangenen Tage.

Amir, so heißt unser Guide, hat jedoch auch noch eine schlechte Nachricht für uns: Wegen des starken Nebels in diesen Tagen lohnt sich die für den Morgen geplante Bootsfahrt auf dem Ganges nicht, da wir nichts sehen würden. Er schlägt vor, die Tour auf den Nachmittag zu verlegen. So verbleiben wir und treffen uns mit ihm erst wieder gegen 14 Uhr.

Spaziergang von Ghat zu Ghat

Daher machen wir uns nach dem stärkenden Frühstück zunächst alleine zu den Ghats (Badetreppen) am Ganges auf.

Über 6 Kilometer erstrecken sich diese berühmten Treppen entlang des Ufers und geben einen tiefen Einblick in das religiöse, aber auch das weltliche Leben am großen Strom.

Als wir das Asi Ghat ganz im Süden erreichen, einen guten Ausgangspunkt für einen Spaziergang entlang der Ghats, wird der Nebel immer dichter.

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Treppen am Asi Ghat.

Vorbei an zahlreichen Bettlern, Straßenhunden und Chai-Ständen, erblicken wir trotz der winterlichen Temperaturen schon bald die ersten Gläubigen bei ihrem Baderitual, Menschen, die ihre Kleidung im Ganges waschen, und zahlreiche Pilgergruppen.

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Badende, waschende und pilgernde Hindus am Ganges.

Und der Nebel fügt der ohnehin schon einzigartigen Atmosphäre noch etwas besonders Mystisches hinzu. Wir sind begeistert, und unser Reise-Entdeckergeist ist wieder geweckt!

Vorbei an mehr oder weniger verfallenen Palästen lokaler Herrscher, Bootsführern, die ihre Dienste anbieten, und frei herumlaufenden Wasserbüffeln schlendern wir weiter Richtung Dasaswamedh Ghat, dem zentralen und größten Badeplatz von Varanasi. Der Nebel lichtet sich, und inzwischen kommt die Sonne hervor.

Einige Jugendliche spielen Cricket auf den freien Flächen vor den Treppen, am Strand herrscht reges Treiben aus Kühen, Hunden, badenden Menschen, Kindern und bunten Booten. Ein Fest für die Sinne und für Fotografen!

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Treppen und Strand am Dasaswamedh Ghat.

Nur wenige hundert Meter weiter, am Harishchendra Ghat, sehe ich die ersten Rauchwolken aufsteigen. Ohne es erwartet zu haben, stehen wir plötzlich an einem der beiden Hauptverbrennungsplätze am Ganges. An der Rückseite liegen riesige Ansammlungen von gestapelten Holzscheiten.

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Gestapelte Holzscheite am Harishchendra Ghat.

400 Kilogramm davon werden pro Verbrennung benötigt, und vor uns lodern zwei Feuer. Der in Tücher verhüllte Leichnam ist deutlich erkennbar. Um den Scheiterhaufen stehen einige Angehörige, Kinder spielen Nachlaufen und einige Kühe bahnen sich ihren Weg durch die Trauergemeinde. Minutenlang stehe ich da und starre ins Feuer – fotografieren ist übrigens absolut verboten!

Was habe ich erwartet bei diesem Anblick? Im Vorhinein habe ich mir alles ganz schrecklich ausgemalt, in den Augen brennenden Rauch, den beißenden Gestank von verbrannter Haut, den Anblick eines brennenden Toten…aber während ich da so stehe, bemerke ich nichts von alledem, alles ist friedlich und das lodernde Feuer hat etwas Beruhigendes.

Varanasi, die Stadt, in die gläubige Hindus zum Sterben kommen. Das Ritual ist immer gleich: Ein Leichnam wird verbrannt und seine Asche anschließend in den heiligen Ganges verstreut, wodurch der Gläubige Erlösung erlangt, Moksha, und sich damit aus dem Kreislauf der Wiedergeburt befreien kann.

Von diesen ersten Eindrücken überwältigt, laufen wir zurück zum Hotel, um Amir zu treffen. Er wird uns in den kommenden beiden Stunden seine Heimatstadt abseits des Ganges zeigen.

Die Stadt abseits des Ganges

Und so laufen wir vorbei an kleinen Tempeln und Opferplätzen, sowie zu einem Brunnen, dessen Wasser angeblich Krankheiten heilt, wenn man in ihm badet. Ein Mal im Jahr strömen hundertausende kranker Menschen hierhin. Es ist verblüffend, woran Menschen alles glauben wollen.

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Heil-Brunnen in der Altstadt von Varanasi.

Im Muslim-Viertel beobachten wir Seidensticker bei der Arbeit, und von überall winken uns neugierige Kinder zu, die mit ihren Papier-Drachen einem beliebten Spiel nachgehen.

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Seidensticker im Muslim-Viertel.

Es gibt Garküchen und Märkte, Müll, Affen und unzählige Kühe, wie überall. Vielleicht zeigt Amir uns nur die harmlosen Gassen, vielleicht liegt es auch an der Jahreszeit Winter und den relativ kalten Temperaturen, aber die Horrorgeschichten von der stinkenden und schmutzigsten Stadt Indiens, in deren Gassen die sterbenden Menschen vegetieren, zeigen sich uns nicht.

Bootsfahrt zum Manikarnika Ghat

Gegen 16 Uhr besteigen wir nun am Dasaswamedh Ghat ein Ruderboot und fahren auf Mata Ganga (Mutter Ganges), wie der Fluss von den Hindus genannt wird, Richtung Norden entlang der Ghats, die wir auf unserem Spaziergang noch nicht gesehen haben. Die Sonne verschwindet schon hinter den Häusern der Stadt, und es wird ziemlich bald frisch.

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Mit dem Ruderboot auf dem Ganges.

Bereits nach wenigen Minuten Fahrt erblicken wir die Rauchwolken der Scheiterhaufen am berühmten Manikarnika Ghat. Hier wird ein Großteil der Toten verbrannt, die Feuer lodern Tag und Nacht. Wir zählen an diesem Abend um die 20 Stück.

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Brennende Scheiterhaufen am berühmten Manikarnika Ghat.

Amir erklärt uns den Ablauf einer traditionellen hinduistischen Totenverbrennung: Der in Tücher gewickelte Leichnam wird zunächst von ganz in weiß gekleideten, kahl rasierten, männlichen Angehörigen auf einer Bambusholztrage zum Ganges hinunter getragen und ins Wasser getaucht. Nach einer kurzen Trocknungs-Phase wird der Leichnam dann auf den Holzscheit gelegt. Das Familienoberhaupt holt mit einer Fackel Feuer an der ewigen Flamme, die oberhalb des Ghats brennt, und entzündet damit den Scheiterhaufen des Verstorbenen. Nach ungefähr drei Stunden ist der Leichnam komplett eingeäschert. Das Familienoberhaupt nimmt nun einen Teil der Asche und wirft sie in den Ganges. Damit ist die Zeremonie beendet.

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Etwa 200 Verbrennungen täglich finden hier am Manikarnika Ghat statt.

Übrigens werden verstorbene hinduistische Kinder oder Priester aus Glaubensgründen niemals verbrannt. Stattdessen versenkt man ihren Leichnam mit Steinen beschwert direkt im Fluss. Schauergeschichten von wieder an die Oberfläche gespülten Leichen liest und hört man überall. Wir haben dies jedoch nicht erlebt.

Aarti Zeremonie

Der allabendliche Höhepunkt in Varanasi soll jedoch die Aarti Zeremonie am Dasaswamedh Ghat sein. Also fahren auch wir gegen 18.30 Uhr mit unserem Ruderboot zurück, um der Zeremonie vom Wasser aus beizuwohnen. Mit jeder Menge Feuer, Tanz und Gesängen wird dem heiligen Ganges ein rituelles Opfer gebracht.

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Aarti Zeremonie am Dasaswamedh Ghat.

Junge Religionsgelehrte in farbenfrohen Roben schwenken Räucherstäbchen und Feuerlampen in ausgeklügelten Bewegungsmustern zu streng rhythmischen Gesängen und Klängen von Zimbeln. Die sehenswerte Choreographie hat etwas beeindruckend Magisches. Zum Abschluss lassen auch wir zwei kleine Blumenlichterschiffchen zu Wasser, bevor uns Amir und der Bootsfahrer zum Asi Ghat zurück fahren.

Dankbar für einen außergewöhnlichen, spirituellen Tag mit vielen beeindruckenden Bildern verabschieden wir uns von Amir und lassen den Abend oberhalb des Ganges bei Pizza und Apfelkuchen – extrem gut! – im Vaatika Café ausklingen.

Wissenswertes:

Reisezeit? 6.-8. Januar 2018

Wieviel Zeit einplanen? Mind. 2-3 Tage, zumindest zu dieser Jahreszeit.

Anreise? Nach unserer Horror-Erfahrung im Bundelkhand Nachtexpress empfehle ich dringend, mit dem Flugzeug nach Varanasi zu fliegen!

Hotel? Hotel Haifa in der Nähe des Asi Ghat. Super gelegen, viele andere Traveler, sauber und günstig (15€/Nacht).

Sicherheit? Überall wird man gewarnt vor übergriffigen TukTuk- und Bootsfahrern, die einen bedrängen und man solle die Ghats bei Dunkelheit nicht mehr alleine besuchen. Wir haben das alles als ziemlich harmlos erlebt und haben uns zu keiner Zeit unwohl gefühlt. Eine gewisse Vorsicht sollte man überall auf der Welt walten lassen, v.a. bei Dunkelheit in abgelegenen Gassen, aber unsicher scheint uns Varanasi nicht.

Café Tipp: Open Hand Shop & Café

Empfehlung: Die Bootsfahrt zum Manikarnika Ghat und zur Aarti Zeremonie ist schön und stimmungsvoll und man bekommt einen guten Überblick. Wer allerdings wirklich nah am Geschehen dran sein will, sollte zu Fuß direkt an den Ghats im Gewusel unterwegs sein.

Warst du auch schon einmal in Varanasi? Vielleicht zu einer anderen Jahreszeit? Welche Erfahrungen hast du gemacht?
Hinterlasse mir gerne einen Kommentar! Deine Julia

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